Manche werden ja noch meinen Opa gekannt haben,
ein kleiner Arbeiter, Klempner und das letztgeborene von 7 Kindern. Über seine Kindheit erzählte er dass es sehr streng zu ging in der Hintergasse. Mit den Kindern, die alle in einem großen Bett schliefen, war oft noch ein Beischläfer untergebracht. Er ging hungrig zur Schule, oft wischte er sich nur eine Gelberübe am Hosenbein ab. Wobei das Lesen kein hohes Ansehen hatte, Zeitung und Bibel sollten eher nicht gelesen werden, das führt nur zur Faulenzerei.
Die landlose Familie besaß nur einen schönen Stuhl, auf dem durften nur die „reichen“ Bauern sitzen wenn sie vom Vater geschabt wurden. Die Familie ernährte sich von Tagelöhnerei, im Sommer Erntehilfe und Bauarbeiten. Als Weißbinder waren alle Männer unterwegs, Louis machte sogar einen eigenen Handwerksbetrieb am Rochusplatz daraus. Im Winter halfen alle bei den Hausschlachtungen. Nebenbei reparierten sie alles, die Frauen bügelten, nähten, wuschen. Gustav war innerhalb der Familie mehr für Metallarbeiten zuständig.
Seine ältester Bruder Louis war ein strenger Mann und der zweitgeborene Karl galt als schlau und sehr tüchtig. Der Eduard war sehr sportlich und gesellig und wurde Wirt im Engel. Sein Zwillingsbruder Heinrich verließ die Familie schon in der Jugend Richtung Berlin, dem 15 Jahre älteren August Gaul hinterher. Er wollte auch Kunst machen und da er ein reiches, dickes Mädchen fand konnte der sogar studieren und Architekt werden. Seine Schwester Maria heiratete den Karl Kronenberger und war nach einem Sturz halbkörper-gelähmt, die Schwester Wilhelmine mußte nach einer unerwünschten Liebschaft ins Kloster und blieb als Vinzenz-Schwester Eleonora in Fulda.
Es gibt stolze Bilder der Geschwister. Sie pflegten freundlichen familiären Kontakt miteinander.
Gustav war hübsch und fand in der Bauerntochter Emma Arnold ein Mädchen, das brachte immerhin ein paar Äcker und ein Haus mit in die Ehe. Sie starteten als Liebespaar und im Februar 2013 bekamen sie ihren einzigen Sohn Wilhelm. Gustav arbeitete zu diesem Zeit bereits in der Pulvermühle Dort war er mal gelb bestäubt wenn er Schwefel mahlte und grün wenn sie Phosphor zerstiessen.
Er war „an einfacher Schaffer“ und „Sozioldemokrot“. Segnungen der Waffen für den Sieg, das gefiel ihm nicht. „Gott mit uns“ stand auf seiner Koppel, und er dachte, dass die gleiche katholische Kirche in Frankreich auch segnet. Für „Kaiser und Vaterland“ wollte er nicht die anderen „einfachen Schaffer“ totschlagen. Und ein Krieg, der für Kaiser und Vaterland ist, bei dem bleibt für arme Leute nichts übrig, das wusste er sehr wohl. Trotzdem verließ er im August seine junge Frau und seinen kleinen Sohn. Er kam direkt an die Westfront
Ein paar Postkarten schrieb er, mit erstaunlicher schöner Schrift, ein paar wenige Zeilen über Belanglosigkeiten, und er lächelt auf den Bildern. Dies war der erste Krieg wo das moderne Medium der Fotografie eine entscheidende Rolle spielte.
Später erzählte er, dass er im Bautrupp und als Küchenbulle arbeitete und nur selten im Kampfgeschehen war. Oft hätten sie das Essen nicht richtig hingekriegt, weil Wasser in den Gräben stand. Am Weihnachtsabend 1914 setzten sich die Soldaten in der Dämmerung zusammen und mit einem geschmückten Weihnachtsbaum und gossen sich etwas Schnaps. Unweit aus dem anderen Schützengraben hörten sie fröhliches Singen, Pfeifen und Klatschen. Sie antworteten mit lauten Weihnachtsliedern. Die Mutigsten guckten neugierig über den Schützengrabenrand. Und von dem Schützengraben auf der anderen Seite guckten auch junge Männer herüber. Der Deutsche hielt den Weihnachtsbaum hoch und sie sangen. Dann stiegen sie vorsichtig aus den Schützengräben hinaus. Es wunderte sie, dass die Franzosen keinen Baum hochhielten. Zögerlich gingen sie aufeinander zu. Nur einige zuerst und Gustav hielt sich vorsichtig zurück. Die ersten trafen sich im Niemandsland, und dann ging er dann auch hinauf. Er brachte was zu Essen mit hoch. Die Franzosen klopften ihm auf die Schultern. Sie nannten ihn „lepetit“, der Kleine, er war ja auch nur 1,51 m groß.
Ein Franzose reichte ihm Essbares, das beschrieb er als „süßer Fisch“, wie er ihn nie zuvor gegessen hat. Die Soldaten zeigten einander Bilder von ihren Frauen und Kindern. Schön wären die Frauen gewesen, viel eleganter als die Deutschen. Am nächsten Tag traf man sich schon viel freier und hin und her liefen die Soldaten, die Deutschen brachten einen Weihnachtsbaum in den französischen Schützengrabe, wie es sich für ihren Geschmack gehörte. Die Franzosen hätten so was nicht gekannt, wunderte sich lepetit ein Leben lang.
Aber als Weihnachten herum war, tauchten die Offiziere auf. Sie verboten diese Kollaboration, befahlen Zurückhaltung, erinnerten an die Erbfeindschaft mit dem Franzmann. Sie drohten den Soldaten mit Standgericht. Ein junger Leutnant sei in den folgenden Tagen erschossen worden: in den Rücken. Dann mussten sie wieder auf einander schießen – was für ein Wahnsinn, und doch nur weil die hohen Herren das so wollten! So betonte er immer und immer wieder.
Ab dem Frühjahr 1916 lag er erst vor dann in dem Fort Douamont , das sind 10 km vor Verdun und 7 km von der Meuse entfernt. Diese französische Festung war im Handstreich erobert worden. Gustav hatte nun den Auftrag frische Lebensmittel zu besorgen. Besonders die Beschaffung von Eiern bei umliegenden Bauern gehörte zu seiner Aufgaben. Er hatte sich offensichtlich im männerarmen Frühling mit einer französischen Bäuerin angefreundet. Im frühen Morgengrauen des 8. Mai 1916 kamen bei der Explosion eines Granaten- und Flammenwerferdepots mehrere Hundert deutsche Soldaten ums Leben, und Gustav war erstaunlicherweise nicht dabei. Er wollte sich morgens zu seiner Truppe zurückschleichen, er war wegen der Eier unterwegs gewesen, versicherte er. Da bekam er tüchtig Ärger mit seinen Vorgesetzten und konnte seine Abwesenheit und noch widerrechtliche Lebendigkeit das gar nicht erklären. Da waren sich die Herren mit dem kleinen Kerl doch sehr unsicher. Sie haben ihn aber nicht weiter als Kanonfutter verwendet sondern ihn zurückgesendet, er war dann länger am Rhein stationiert.