Schulleben in Großauheim

Geschichte ist Vergangenes. Aber sie wirkt Schicht für Schicht bis in unseren heutigen Alltag. Wissen über sie zu haben kann helfen, Zusammenhänge zu erklären und einen mit Geschichten zu bereichern. Im Folgenden geht es um das Schulleben in Großauheim. Als Quelle für historische Fakten und Anekdoten liegt der Bericht des Rektor Runte  in „Heimatbuch zum 1150jährigen Bestehen“ Hrsg. Mathilde Hain 1956 vor. 

 

Die Anfänge: der arme Dorfschullehrer

Der erste urkundliche Beleg einer Dorfschule in Großauheim stammt aus dem Jahr 1615 und dokumentiert einen Zwist zwischen der Ortsgemeinschaft und dem damaligen Pfarrer. Aus einem Brief geht hervor, dass er sich „mit Schmähreden, Raufereien und Schlägen und sonstigen Bubenstücken so verfolgt“ sah, dass er sich im eigenen Pfarrhaus nicht mehr sicher fühlte.

Worum es genau ging, weiß heute niemand mehr. Bildungsreformen und Diskurse über Erziehung gab es auch in der Vergangenheit schon. Das Reglement sah damals freilich anders aus. Aus einer Kirchenordnung für Pfarrer und Schulmeister aus dem Jahr 1728, einem Leitfaden für das Schulwesen und Berufsbild in 44 Abschnitten, läßt sich etwa erahnen welche Aufgaben dem Lehrpersonal damals zukamen:

Unterrichtet wurden Schüler aus Auheim und Steinheim zwischen 8 und 12 Jahren gemeinsam zweimal die Woche von 7-10h und von 12-15h.  Neben Lesen und Schreiben wurde etwa auch der Katechismus und Singen gelehrt, damit der Schulmeister „während des Gottesdienstes nicht immer alleine singen, sondern ihm von anderen, Sängern und Sängerinnen geholfen werden könne“. Weiter sollte er in der „Züchtigung der Schulkinder sich der Rute und keines Steckens bedienen, auch dabei keine Passion vorwalten lassen.“ Ihm waren neben den Kindern auch die Zuständigkeit für Kirchenglocken und Uhr zugewiesen. Und schließlich durfte der Schulmeister „unberufen nicht in das Wirtshaus gehen.“

Er sollte ein Vorbild für die Ortsgemeinschaft sein, allemal ihr Repräsentant. Waren etwa die Kirchenorgeln oder -glocken zu reparieren und dafür jemand in die Stadt zu schicken oder etwa ein Brief an die Obrigkeit zu formulieren, so wurde dies dem Schulmeister angetragen, war er doch nebst dem Pfarrer der gebildetste Mann im Dorf. Eingesetzt, besoldet und überwacht wurde er vom Gericht, welches damals in Aschaffenburg saß. Deren Besoldungsbücher sind heute eine der besten Quellen für Informationen über das Schulwesen zu jener Zeit.

Ab 1790 ist für ihn und seine Familie ein eigenes Schulhaus in Großauheim belegt, gelegen dort, wo heute die Taubengasse 2 liegt. Bezahlt wurde er von der Gemeinde in Gulden und Naturalien wie Futtermittel und Getreide. Dies legt nahe, dass der Lehrer selbst bei sich zu Hause Nutzvieh hielt und einen Kräutergarten pflegte. Das war wohl auch deshalb notwendig, weil Barsold und Abgaben aus dem Ort manchmal ausblieben. Schon der erste Lehrer, dessen Name in den Besoldungsbüchern belegt ist, klagt über seine Bezahlung. Habe er doch noch auch die 13. und 14. jährigen zu unterrichten und mit besonders kinderreichen Jahrgängen zu tun.

 

Unter Hessen-Darmstadt

1802 übernimmt der Großherzog von Hessen-Darmstadt das Amt zu Steinheim und ist damit auch für Auheim zuständig. Er lässt den neuen Lehrer, einen Martin Jost, einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen, der bis heute erhalten ist. Aus ihm ist zu erfahren, dass der Schullehrer 216 Kinder unterrichtete, zur Erntezeit 14 Tage und den ganzen Oktober Ferien hatte. Seine Arbeit wurde vom Pfarrer beaufsichtigt. Tagsüber lehrte er Lesen, Schreiben und das Christentum. Doch „da dem Fleiße die gewöhnlichen Stunden zu wenige waren“, so gibt er in dem Fragebogen an, bot er  nach dem Unterricht noch Stunden in Musik, wie „er auch überhaupt das Sittliche und Wissenschaftliche zu befördern suchte“.

Bald darauf verstirbt dieser Martin Jost. Ersetzen soll ihn, auf Wunsch des Großherzogs im Jahre 1805, der Lehrer Adam Metz. Doch schon 1806 wird dieser nach Hörstein versetzt. Konnten sich die Gemeinden bis dato ihre Lehrer selbst auswählen, so wollten die Großauheimer den von der neuen napoleonischen Obrigkeit eingesetzten Metz nicht akzeptieren. Etwas muss vorgefallen sein, denn ganze 15 Gulden Rente, „welche die von den Gemeinden Hörstein und Auheim an ihrem Schullehrern verübten Misshandlungen zu Rettung des Schulunterrichts notwendig gewordene Versetzung derselben verursacht worden, hat jede besagte Gemeinde die Hälfte dem Schullehrer Metz zu Hörstein aus ihren Gemeindemitteln vergüten zu lassen.“ Die neue Regierung in Darmstadt nimmt diese „Unannehmlichkeiten“ übel, zwei lokale Gerichtsmänner werden wegen ihres Anteils an dem Gemeindeaufstand entlassen.

1816, in der Dienstzeit Metzes Nachfolgers, fällt Großauheim in kurhessischen Besitz und die administrative Abhängigkeit von Steinheim endete. Die neu Zuständigen sitzen in Bücherthal (eine alte Verwaltungseinheit, die von Kilianstädten bis Wolfgang, von Ronneburg bis Rumpenheim reichte). In den folgenden Jahren wird erst das alte Schulhaus ausgebessert und schließlich ein neues errichtet. 1833 kommt Lehrer Peter Jöckel in den Dienst. Das alte Schulhaus ist wohl nicht mehr nutzbar, das neue noch nicht fertig, so wird der junge Lehrer beim Kirchenbaumeister eingemietet. Als Schulstube diente zwischenzeitlich ein Wirtshaus. Im Sommer zog Jöckel mit einem zweiten Lehrer  schließlich in das neue Schulhaus. Bei dieser Gelegenheit wurde die Reinigung des Gebäudes öffentlich ausgeschrieben. Der Mindestfordernde hatte nun zehnmal im Jahr alle Fenster zu reinigen und zweimal die Schulsäle aufzuwaschen. Das tägliche Ausfegen der Räumlichkeiten wurde vom Lehrer an die Schüler weiter diktiert. Auch die Besoldung wurde neu geregelt und nun nur noch bar ausgezahlt. Gerade der zweite Lehrer bekam nun einen so dürftigen Lohn, dass es in den nächsten Jahren immer wieder Wechsel gab. Ab 1842 war Jöckel allein. Da auch er nur knapp über die Runden kam, wollte er sich eine Ziege und ein Schwein halten und schrieb an den Ortsvorstand. Dieser wollte den Neubau nicht durch einen Schweinestall verschandelt sehen und gab den Eingaben des Lehrers nur widerwillig und nach einigen Nachfragen nach. Jöckel schrieb viele Bitten und Anfragen, stets in  höflichen Ton. Er forderte etwa auch mehr Brennholz und Lebensmittelzulagen für sich, seine Frau und seine 4 Kinder. Jöckels zäher Briefwechsel mit dem Ortsvorstand und Bücherthal hat nicht nur zu Folge, dass wir uns heute an diesem Beispiel ein gutes Bild von dem Lebensstandard seiner Zunft und dem Alltag einer Volksschule jener Zeit machen können, sondern sie hatte auch für ihn Folgen. Er wurde der Gemeinde schließlich so lästig, dass sie eine Versetzung Jöckels nach Ulmbach, und einen Tausch mit dem dortigen Lehrer beantragte. Jöckel verließ bald darauf das Lehramt und arbeitete fortan im Büro der hessischen Ludwigeisenbahn in Hanau.

 

Jahrhundertwechsel und Moderne

Ab den 1840er Jahren stieg die Population rasant an, dass ein dritter Lehrer eingestellt wurde und das Schulhaus erneut ausgebaut werden musste.1914/1915  wurde die Turmschule, heute August-Gaul-Schule, mitten im Krieg gebaut. Ein Lehrer war  auch für Küsterdienste in der Kirche und die Uhr an der Schule zuständig. Das Glockenläuten verlor stückweise seine Bedeutung. Eisenbahn und die wachsende Industrie benötigten exakteres Zeitmaß, als es durch die Schuluhr gewährleistet werden konnte. Die Trennung zwischen Kirchen- und Schuldienst wurde ab den 1920er Jahren angestrebt. Ging es in der evangelischen Gemeinde schneller, so lag das daran, dass in der katholischen Gemeinde von Beginn an beides zusammengehörte und der Ortspfarrer den Schuldienst beaufsichtigt hatte. Dieses Privileg wurde nur widerwillig aufgegeben.

Waren 1860 noch 300 Kinder in Großauheim in der Schule, stieg diese Zahl an. Ab 1883 wurde auf Geheiß der Königlichen Regierung in Kassel ein zweites Schulssystem für evangelische Kinder errichtet. Die Gemeinde Großauheim wehrte sich gegen diese neue Schule, allerdings wurde der Einwand von der Stadt Hanau abgelehnt. 1895 hatte Großauheim 3467 Einwohner. Im Jahr 1910 gab es in Großauheim 1200 schulpflichtige Kinder. Damit waren die Voraussetzungen gegeben, eine höhere Knabenschule oder Rektoratschule, zu errichten. Der Bischöfliche Stuhl zu Fulda trieb das Projekt mit Unterstützung der Ortsgemeinschaft voran, so das Ostern 1910 die ersten 34 Sextaner aufgenommen werden konnten.  Die Schule erreichte eine durchschnittliche Besucherzahl von 120 Schülern. Diese zahlten ein mäßiges Schulgeld, unbemittelte Kinder durften die Schule kostenfrei übernehmen. Zu Zeiten der Inflation halfen die Großauheimer Bürgern den Lehrern mit Lebensmittelspenden aus. Kritisch wurde der Status der christlich geprägten Schule erst unter den Nationalsozialisten. 1912 wurde die Aufsicht vollends vom Pfarrer an einen Schuldirektor Möller übertragen. 1917 war die Höchstzahl von 1500 Schülern erreicht. Die katholische Schule (Turmschule) beschäftigte siebzehn Lehrer, die evangelische (Schule am Brunnen) sieben. Der rapiden Umwälzungen und Veränderungen während der Jahre des ersten Weltkriegs waren auch die baulichen Einrichtungen nicht gewachsen. Es musste wieder gebaut werden. Die Taubengassenschule, heute Alte Schule, wurde errichtet. 1916 konnte auch die Turmschule bezogen werden, sie war zunächst die katholische Volksschule.

1919 wurde auch eine höhere Mädchenschule St. Josef eröffnet. Der Orden der Ursulinen aus Fritzlar leitete die Schule, den Unterricht erteilten Ordensschwestern. Trotz Unterstützung aus dem Ort konnte sich der Orden die Schule aber nicht leisten und musste 1922 zu Gunsten der Armen Schulschwestern von unserer Lieben Frau von Bren ausziehen. 1925 wurde die höhere Mädchenschule in eine Mittelschule umgewandelt um den Bedürfnissen der Großauheimer besser zu entsprechen.

 

1935 stellte die Gemeinde ihre finanzielle Unterstützung für die katholische Rektoratsschule ein, 1936 verlangte sie Miete für die bis dahin kostenfreien Unterkünfte. Die Schulleitung weigerte sich, da sie einen anderslautenden Vertrag unterschrieben hatte. Doch 1937 forderte der Bürgermeister die Schließung der Schule, da die Räumlichkeiten „für andere, insbesondere politische Zwecke“ benötigt wurden sollten. Noch im gleichen Jahr wurde die Räumung erzwungen und die Schüler unter Rektoratschulen der Umgebung aufgeteilt.

 

Unter den Nationalsozialisten wurde die St. Josef-Schule 1939 aufgehoben, die Ordensschwestern in ihr Kloster zurückgeschickt und die Räumlichkeiten für den Arbeitsdienst verwendet

Der zweite Weltkrieg traf das Schulwesen mit großer Härte. Lehrer wurden eingezogen. Ersatzkräfte kamen und gingen. Bereits berentete Lehrer wurden wieder eingesetzt. Schulunterricht trat zurück neben den kriegswirtschaftlichen Aufgaben, die den Kindern zugemutet wurden. Sie sammelten Kleidung, Heilkräuter, Papier und Altmaterial. Städter flohen vor den Luftangriffen aufs Land und ließen sich nieder. 1942 wurde die Hauptschule ins Leben gerufen. Durch sie sollte eine Auslese begabter Kinder „fähige, leistungs- und charakterstarke Nachwuchskräfte aus der breiten Masse des Volkes für alle Berufe sicherstellen“. Nationalsozialistische Lehrkräfte führten die Auslese durch. An Stelle des Religionsunterrichts trat der Sport, es gab auch Englischunterricht. 1939 wurde die evangelische Bekenntnisschule geschlossen, alle Schüler gingen in die gleichgeschaltete Schule. Aus dieser wurde für die Hauptschule ausgesiebt. Im ersten Jahr 1942 wurden dort 42 Schüler eingeschult, im nächsten Jahr 30. 1945 ging die Schule in der Katastrophe des Weltkrieges unter. Die Amerikaner, die das ehemalige Schulgebäude der Schwestern-Schule zwischenzeitlich als Lazarett nutzten, eröffneten 1945 diese neu. Anfangs gab es weder Möbiliar noch Unterrichtsmaterialien. Das Kloster Kreuzburg, die Volksschule und Auheimer Bevölkerung half aus wo sie konnten. Als man im September 1945 den Unterricht in der staatlichen Schule wieder aufnahm, war nur das Schulhaus in der Taubengasse nutzbar. Erst 1946 gab das Oberkommando der Amerikaner die Hauptschule und die Turmschule wieder frei. Die Hanauer Schüler, deren Gebäude völlig vernichtet waren, erhielten dort bis 1950 ihren Unterricht.

Peter Szillat