"Hallo .....meine Erinnung an Frau Fleißner ist natürlich nach fast 60 Jahren nicht mehr so frisch. Ich habe sie als eine sehr liebe und mütterliche Frau in Erinnerung. Sie hat sich sehr für ihre Schüler eingesetzt, wurde niemals laut und war geduldig. Im Rückblick auf mein Schülerleben, war Frau Fleißner meine absolute Lieblingslehrin. Was mich auch unheimlich beeindruckt hat, war die Tatsache, dass sie in einem doch fortgeschrittenen Alter, den Führerschein machte. Ich habe mich , da wir in der Nähe wohnen, beim Spaziergang öfters mit ihr unterhalten. Sie hat auch ein unheimliches gutes Gedächtnis, was ihre ehemaligen Schüler angeht. Ich hoffe Ihnen mit meiner Auskunft etwas geholfen zu haben. Mit lieben Grüßen G. E."

 

 

 

Pressemitteilung des Geschichtsvereins von Christel Derzbach

 

Lehrerin mit Leib und Seele – zum 100. Geburtstag von Frau Irmgard Fleißner

 

  • Nur der Mensch, der ein Leben lang gearbeitet hat, kann sagen: Ich habe gelebt!

Dies schrieb Frau Fleißner einer Schülerin im Juni 1971 in ihr Poesiealbum. Nach diesem Motto lebte auch Frau Fleißner mit Ehemann und Sohn in Großauheim. Die Schülerinnen und Schüler sprechen heute noch mit Hochachtung über ihre Lehrerin. „Sie war das Beste, was mir in meiner Jugend passiert ist“, „Ich erinnere mich an sie als eine sehr liebe und mütterliche Frau“, „Sie war niemals laut, sehr geduldig, hat sich sehr für ihre Schüler eingesetzt und hat ein unheimliches gutes Gedächtnis, was ihre ehemaligen Schüler angeht“. Dies sind nur einige Aussagen von vielen ehemaligen Schülern. Diese liebevolle und gütige Art ist wohl auch auf ihren katholischen Glauben zurückzuführen. Der wöchentliche Kirchgang gehört zu ihrem Leben, wie ihr Engagement im Elisabethenverein Großauheim.

Frau Fleißner kam am 10. Mai 1946 mit dem 6. Transport aus Tachau/Sudentenland nach Großauheim. Diese ca. 100 Leute haben sich schnell integriert und hatten Einfluß auf das Gemeindeleben Großauheim´s. 2000/2001 wurde sogar von der Stadtversammlung Hanau beschlossen, eine Straße „Tachau-Str. zu benennen; aber leider ist dieser Beschluß im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten.

Frau Fleißner übte ihr Lehramt in verschiedenen Grundschulen aus: Brüder Grimm Schule, Turmschule (heute August Gaul-Schule) und Eichendorffschule. Hier war auch ihre letzte Klasse die 1a 1977/78, danach ging sie in den wohlverdienten Ruhestand. Dies hinderte sie aber nicht daran, spät noch ihren Führerschein zu machen. Diesen erwarb sie im Schwarzwald in Titisee-Neustadt. Noch bis vor ca. 2 bis 2,5 Jahren ist Frau Fleißner Auto gefahren.

Frau Irmgard Fleißner lebt heute im Alten- und Pflegezentrum Rodenbach, in welchem sie auch ihren Ehrentag begeht. Der Heimat- und Geschichtsverein Großauheim, dem sie seit 30 Jahren angehört, möchte mit diesen Worten ihr ganz herzlich zu ihrem 100. Geburtstag gratulieren und ihr noch eine schöne und gesunde Zeit wünschen.

 

 Die sudetendeutschen Heimatvertriebenen in Großauheim

 

Redigierter Text von Hans Gruber, selbst als von Tachau vertrieben, kam im Wagen 3 nach Großauheim. Er war Amtmann in Großauheim, und bis zu seinem Tod engagierter Bürger der Stadt.

 

Alljährlich am 10. Mai jährt sich der Tag, an dem ein Güterzug in Großauheim anhielt und einige Waggons – vollgefüllt mit Menschen abkoppelte. Es waren 210 Aussiedler aus dem Sudetenland; überwiegend Frauen, Kinder und alte Menschen.

 

Ob sie damals freundlich empfangen oder als lästige „Kartoffelkäfer“ geduldet wurden, ist heute nicht mehr zu sagen, aber sie waren in Großauheim, das ihnen zweite Heimat und für viele auch letzte Heimat werden sollte.

 

Viele haben sich damals gefragt, warum diese Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Wo haben sie früher gelebt?

 

Die erste Frage ist oberflächlich einfach zu beantworten gewesen: Weil Deutschland den Krieg verloren hatte und die Alliierten es so beschlossen hatten. Die zweite Frage war leicht zu beantworten: Sie kamen aus dem Kreis Tachau, insbesondere aus der Kreisstadt Tachau, die heute tschechisch Tachov heißt und an den nördlichen Ausläufern des Böhmerwaldes

483 m ü. M. liegt. Tachau grenzt im Westen an den oberpfälzischen Kreis Tirschenreuth und gehörte zum südlichen Egerland.

Tachau

1938 umfasste die Stadt Tachau eine Katasterfläche von 2.152 ha, etwa doppelt so groß wie Großauheim, mit 1252 Häusern und einer Einwohnerzahl von 7.075. Von den Einwohnern waren damals 6.495 Deutsche, 451 Tschechen und 129 andere Staatsangehörige. Tachau war eine fast rein katholische Stadt und war Erzdekanatsamt. Es gab 69 Evangelische, 180 Juden und 104 Angehörige anderer Konfessionen bzw. Konfessionslose.

 

 

Geschichtlich gesehen war Tachau eine alte böhmische Königsstadt mit Stadtrechten aus dem 13. Jahrhundert. Es war eine wehrhafte Stadt im Mittelalter und hatte die „goldene Straße“, einen Handelsweg, der Frankfurt und die goldene Stadt Prag verband, zu schützen.

 

Über die wechselvolle Geschichte der Stadt Tachau gibt es mehrere Heimatbücher aus alter und neuer Zeit.

 

Seit dem Ende des 1. Weltkrieges 1919 gehörte es zu Tschechien, und alleinder Titel des buches „Chronologie eines Scheiterns vom Zusammenleben von Tschechen und Sudetendeutschen“ lässt erahnen, wie schwierig sich die Situation dieser und der anderen deutschen Enklaven in den folgenden Jahren war.

 

Bis zum „Anschluss an das Reich“ 1938 war Tachau eine Bezirksstadt, später wurde sie dann Kreisstadt. Tachau war Sitz zahlreicher Behörden und des Bezirksgerichts, hatte Kindergärten, Hilfs-, Volks- und Bürgerschulen sowie eine gewerbliche und fachliche Fortbildungsschule. Auch ein Heimatmuseum war vorhanden. Der Fremdenverkehr war gerade in der Entwicklung.

 

Die Stadt hatte ein starkes und vielseitiges Vereins- und Kulturleben.

Zahlreiche Heimatsöhne hatten weit über ihre Vaterstadt hinaus einen Namen: Johann Andreas Blaha (1892–1984) als Priester , Erzieher, Dichter und Maler, Rudolf Böttger als Maler, Elias Dollhopf als Kirchenmaler, Josef Kugler 1896-1958) und die gesamte Familie aus der bedeutende Musiker hervorgingen, Dr. Karl Lanzendörfer, der wegen seines Eintritts für ein vereintes Europa 1945 sein Leben im KZ Buchenwald geben musste und viele andere, die hauptsächlich in der Donaumonarchie einen Namen hatten.


  
Ein Sohn aus dem Kreis Tachau war bestimmt kein Unbekannter: Hubert Wolf, beliebt bei Jung und Alt durch seine Egerländer Blasmusik (1934-1981).

 

 Tachau war aber auch Industriestadt, bekannt, wie ein Postwertstempel aussagt, durch seine Holzindustrie. Es gab zahlreiche Gewerbe- und Handelsbetriebe, eine Tabakfabrik, mehrere Sägewerke und vor allem eine größere Anzahl von Drechselwaren-, Perlmutter- und Kunsthornfabriken. Viele der Winterhilfswerkabzeichen wurden von Tachauer Firmen hergestellt.

Tachau hatte, wie man heute sagen würde, eine gute Infrastruktur. Jeder hatte sein Ein- und Auskommen. Die Kreisbevölkerung fand Arbeit in der Stadt, überwiegend in der Land-, Forst- und Holzwirtschaft.

 

Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass Tachau eine Garnisonsstadt war und ab 1939 auch ein großes Reichsarbeitsdienst-Lager besaß.

 

Der „Anschluss“ Österreichs umfasste auch die Gebiete des deutschsprachigen Sudetenlandes an das Deutsche Reich im Jahre 1938. Er wurde auch von vielen Tachauern begrüßt. Nicht weil man Hitler besonders mochte, sondern es war ein lang gehegter Wunsch, nicht mehr anderssprachige Minderheit in Tschechien, sondern wieder mit Deutschland verbunden zu sein.

 Die Jahre nach Kriegsbeginn liefen – der damaligen Zeit entsprechend – bewegt ab. Die meisten Männer wurden eingezogen oder mussten zum Volkssturm. 1944 wurden zahlreiche Jugendliche mit 17 Jahren zur Wehrmacht – besonders zur Waffen-SS – eingezogen. Viele sahen ihre Heimat nie wieder oder kehrten mit schweren körperlichen Schäden zurück. Es gab kaum eine Familie, in der es nicht Gefallene oder Vermisste gab.

 

 

Hatten die Tachauer die ersten Kriegsjahre gut überstanden, so änderte sich dies zum Kriegsende. Am Aschermittwoch, dem 14. Februar 1945, wurde Tachau durch englische Bomber angegriffen. Innerhalb weniger Minuten war die Stadt teilweise ein Trümmerhaufen und es brannte und schwelte an allen Ecken. 51 Todesopfer, deren Zahl sich in den nächsten Tagen durch Tieffliegerangriffe auf 67 erhöhte, waren zu beklagen. 36 Objekte, darunter das Krankenhaus, wurden total zerstört, 40 Häuser schwer beschädigt und rund ein Drittel aller Häuser trug leichte Schäden davon. Bienenfleißig half jeder beim Wiederaufbau bzw. bei der Wiederbewohnbarmachung der Häuser mit, so dass die größte Not schnell gelindert war.

 

 Am 2. Mai wurde Tachau von den Amerikanern besetzt, nachdem es vorher beschossen war. Die Amerikaner nahmen mehrere Amtswalter der NSDAP und SS-Leute mit zu Verhören. Es gab Ausgangssperre von 22 Uhr bis Sonnenaufgang, wurde aber nicht streng gehandhabt. Trotz Kontaktverbotes mit der Bevölkerung, kam es doch immer wieder zu Gesprächen und Handel.

 

Die Situation änderte sich einige Tage später schlagartig, als die ersten russisch uniformierten Tschechen auftauchten. Man nannte diese Zeit „Jahre der Auspeitschung“. Damit begannen die willkürlichen Verhaftungen, Vernehmungen und Misshandlungen, die oft in bestialischen Grausamkeiten ausarteten. Jeder war davon betroffen. Schon das Tragen von weißen Kniestrümpfen, wie es im Egerland üblich war, ein deutsches Abzeichen, eine Eisenbahner- oder Postuniform, ein Foto mit einem deutsch uniformierten Angehörigen (insbes. von SS-Angehörigen) usw. genügten, um den Unmut dieser „NV“ auf sich zu ziehen.

 

Die Deutschen mussten Armbinden tragen; es gab gelbe und weiße. Wehe dem, der sie vergessen oder die verkehrte Farbe hatte.

Es gab besondere Lebensmittelkarten für Deutsche. Für einen Monat bekam man: 300 Gramm Nährmittel, 250 Gramm Kaffee, 140 Gramm Butter, 110 Gramm Margarine, 800 Gramm Weißgebäck (Semmel), 100 Gramm Salz, 1200 Gramm. Zucker, 5000 Gramm Schwarzbrot und 1.120 Gramm Mehl. Um die Lebensmittelkarte zu bekommen, musste man den Nachweis bringen, dass man sich einen Film über die Gräueltaten der Deutschen an Tschechen, Juden angesehen hatte.

 

Immer mehr verdichteten sich die Gerüchte über Deportationen von deutschen Fachkräften in die innere Tschechoslowakei und über die restlose Aussiedlung aller Deutschen. Es wurde bekannt, dass solche Deportationen durchgeführt wurden. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt und kamen in staatliche Heime.

Wer konnte, setzte sich über die nahe Grenze nach Bayern ab. Entlassene Kriegsgefangene kamen erst gar nicht nach Tachau zurück.

 

Ende Februar 1946 wurde die Aussiedlung zur Gewissheit. Nur wusste keiner, wann und wohin er dran war. Vorsorglich wurden die ersten Truhen und Transportkisten gezimmert, was gar nicht so einfach war, denn es waren ja keine Männer da.

 

Was würden man heute tun, wenn man innerhalb weniger Stunden sein Haus verlassen müsste und nur 50 kg Gepäck mitnehmen dürfte. Wertgegenstände und Schmuck, sowie Dokumente waren für Deutsche verboten.

Viele haben, wenn sie dazu kamen, ihre Wertgegenstände in dem Glauben, wieder zurückzukommen, im Garten oder im Wald vergraben. Alles was lieb und teuer war, musste zurückbleiben.

 

Eines kann mit Gewissheit gesagt werden, obwohl es der Eine oder Andere später nicht mehr gerne hören wollte, es gab kein Flüchtlingsgepäck, in welchem nicht ein religiöser Gegenstand, sei es ein Kruzifix, ein Weihwasserbehälter, ein Gebetbuch, ein Rosenkranz usw. eingepackt war. Manche haben sich damals als Kind gefragt, warum nehmen die Leute denn nicht etwas anderes mit, was sie später notwendig brauchen können. Später, wo sie reifer wurden, konnten sie es verstehen. Diese religiösen Gegenstände stärkten das Gott- und auch das Selbstvertrauen der meisten Menschen so ungemein, was sie auch in dieser schweren Zeit brauchten.

 

Vom Februar bis Oktober 1946 war dann der organisierte „odsun“ (tschechisches Wort für Vertreibung) der Bewohner deutscher Nationalität aus Tachau und Umgebung . Es sollen nach deutschen Angaben 18, nach tschechischer Information 27 Zugtransporte, gewesen sein in denen 31.558 Menschen gewaltsam umgesiedelt wurden.

 

Am 3. Mai hatten die Tschechen mitgeteilt, dass zu einer bestimmten Stunde das Haus zu verlassen sei und das Gepäck, 50 kg pro Person, auf der Straße zu stehen habe. Etwa 1200 Personen des Kreises Tachau wurden für diesen Transport in das Aussiedlerlager in der ehemaligen Tabakfabrik zusammengezogen. Im Internierungslager und das Aussiedlungslager „Zigarrenfabrik“ selbst befanden sich noch von früheren Transporten zurückgehaltene Egerländer, die z.T. schon wochenlang auf ihre Aussiedlung warteten. Die hygienischen Verhältnisse des Lagers waren grauenhaft. Für etwa 1700 Personen gab es nur 40 Toiletten und die Aufregungen dieser Tage waren manchen auf den Magen geschlagen.

 

Einige Tage mussten die Leute im Lager zubringen bis die Ausreisepapiere fertig und das Gepäck peinlichst durchsucht war. Am Abend des 8. Mai wurden sie dann in Viehwaggons, etwa 50 Personen mit Gepäck in einem Wagen, verladen, die Türen verschlossen und die Fahrt ging los. Es regnete in Strömen. Die Waggons war undicht so dass die Leute und ihr bisschen Habe auch noch feucht wurde. Das nannten sie die „humane Aussiedlung“.

 

Der 6. Transport - und der 3. nach Hessen - hatte Bestimmung in den Raum Hanau (Großauheim und Großkrotzenburg) und in den Raum Höchst und Rüdesheim.

 

Als am 9. Mai 1946 die Waggontüren zum ersten Mal geöffnet wurden, waren sie in Wiesau in der Oberpfalz. Hier wurden sie verpflegt und entlaust. Es gab das erste Wiedersehen mit Familienangehörigen.

 

Nach einer mehrstündigen Fahrt trafen sie dann am 10. Mai in Großauheim ein, wo sie auf dem Firmengelände der BBC aus dem unbequemen Viehwagen entladen wurden. Die Gewissheit, in der amerikanischen Zone zu sein, gab manchen Mut.

 

Für die folgenden Wochen waren sie dann in dem auf dem Betriebsgelände erbauten Quarantänelager untergebracht und wurden betreut bis die Wohnungszuweisungen erfolgten. Inzwischen erfolgte die polizeiliche Anmeldung, es gab die ersten Ausweise und Lebensmittelkarten. Man war wieder Mensch. Schritt für Schritt folgte dann der Nachzug der Ehemänner, Kinder und Angehöriger.

 

Bereits am 17. Juni 1946 verließen 89 Tachauer wieder Großauheim, um zum Wiederaufbau der Tachauer Holzindustrie nach Wolfratshausen in Oberbayern umzusiedeln.

Wie sah es aus Großauheimer Sicht aus?

 

Bereits im Oktober 1945 hatte der Regierungspräsident in Wiesbaden die Gemeinden informiert, dass auch der Landkreis Hanau Flüchtlingstransporte aufnehmen muss. Die Gemeindeverwaltung Großauheim hat daraufhin sofort einen größeren Personenkreis, bestehend aus Einheimischen, Evakuierten und Ausgebombten zusammengerufen, um mit ihm Vorbereitungsmaßnahmen zu besprechen. Als Ergebnis dieser Zusammenkunft wurde am 7. November 1945 unter Vorsitz von Bürgermeister Weber ein Flüchtlingsfürsorgeausschuss gebildet, der einmütig zum Ausdruck brachte, dass die Gemeinde selbstverständlich alles tun wird, um das Los der Ostflüchtlinge zu erleichtern. Die in der Folge beschlossenen Maßnahmen, u.a. die Planung eines größeren Lagers auf dem BBC-Gelände, wurden noch im Laufe des Monats November getroffen.

 

Da Großauheim im Vergleich zu anderen Gemeinden verhältnismäßig stark mit amerikanischen Truppen belegt war, hat die Gemeindeverwaltung es für richtig gehalten, an die übergeordneten deutschen und amerikanischen Stellen mit der eindringlichen Bitte heranzutreten, von größeren Zuweisungen Ostvertriebener Abstand zu nehmen.

Durch den ungeheuren Druck des Zustroms vertriebener Menschen aus den deutschen Ostgebieten war es aber schließlich doch nicht zu vermeiden, dass auch Großauheim einen geschlossenen Transport aufzunehmen hatte.

Das Lager, bestehend aus 3 großen Baracken, die außer den Schlafräumen mit zweistöckigen Betten und Spinden, eine komplette Großküche, einen Speiseraum, ein Arztzimmer sowie eine Wasch- und Toilettenanlage enthielt, wurde mit einem Kostenaufwand von 15.000 RM erstellt.

Eine Wohnungskommission war eifrig damit bemüht, Wohnräume für die Einweisung der Lagerinsassen zu erfassen. Diese Arbeit war zweifellos äußerst schwierig, weil die Zahl der Flüchtlinge durch Einzelankömmlinge und insbesondere durch die Auflösung des deutschen Gefangenenlagers durch die Amerikaner schnell anstieg, so dass Ende 1946 bereits 800 Heimatvertriebene in Großauheim polizeilich gemeldet waren.

 

Die einheimische Bevölkerung hat sich den notwendigen behördlichen Anordnungen gegenüber im Großen und Ganzen verständnisvoll gezeigt, ja viele Privatpersonen haben nichts unversucht gelassen, das Los der Ostflüchtlinge zu erleichtern.

Ein besonderes Lob aber gebührt zweifellos den Wohlfahrtsorganisationen Caritas, Innere Mission, Arbeiterwohlfahrt und Rotem Kreuz, die von November 1945 bis November 1947 insgesamt 6 große Sammlungen durchgeführt haben und dank der verständnisvollen und gebefreudigen Einwohnerschaft von Großauheim über die Gemeindeverwaltung den Flüchtlingen insgesamt 75.000 RM, 115 kg Lebensmittel, 1.700 Stück Haus- und Küchengerät, 1.900 Stück Wäsche und Bekleidungssachen, 271 Möbelstücke und 1.100 Stück Einmachgefäße zur Verfügung stellten.

 

Die Flüchtlingsbetreuungsstellen der Gemeinde und des Kreises waren unermüdlich am Werk und haben alles versucht, um das Los der Flüchtlinge erträglich zu gestalten und um sie in ihrer bitteren Lage nicht noch mehr zu enttäuschen.

 

Bereits im Januar 1947 erfolgte an alle Flüchtlinge die Auszahlung einer Soforthilfe, die sich für Großauheim auf 88.000 RM belief.

Vom Flüchtlingsamt kamen laufend Zuweisungen von Unterwäsche, Strümpfen, Schuhe, Pullover, Kleinkinderwäsche, Bettlaken usw.

Die Gemeindeverwaltung kaufte zu günstigen Preisen Betten, Tische und Stühle ein, um sie für den Selbstkostenpreis den Vertriebenen zur Verfügung zu stellen.

 

Auch die Zusammenführung von Heimatvertriebenen und Einheimischen hat die Gemeinde immer wieder dadurch unterstützt, dass sie Gemeinschaftsabende, Feierstunden oder musikalische Veranstaltungen zugunsten der Vertriebenen weitgehendst förderte.

 

 

Ja, wie ging es 1946 weiter?

 

Das größte Übel der damaligen Zeit war der Hunger. Die meisten konnten nichts eintauschen, weil sie nichts Entbehrliches hatten. Man war angewiesen, betteln zu gehen. Das war für viele die größte Erniedrigung.

 

Nach und nach bekamen viele Arbeit, wenn auch teilweise berufsfremde. Die Not konnte wenigstens gesteuert und ein bisschen Hoffnung geschöpft werden.

 

Langsam, ganz langsam ging es aufwärts. Jedes Stück, das man neu erstand, war eine Freude.

 

Glaubten anfangs noch viele daran, dass dieser Aufenthalt nur vorübergehend und eine Rückkehr in die alte Heimat möglich sei, so war das ein großer Trugschluss, denn in einer Versammlung der Neubürger am 17. März 1947 im Gasthaus „Stern“ konnte Flüchtlingsobmann Jäger senior auf Anordnung der Militärbehörden bekannt geben, dass eine Rückkehr in die alte Heimat nicht mehr in Betracht kommen kann.

 

Bis zur Währungsreform am 20. Juni 1948 waren die Vertriebenen im ständigen Hin und Her. Jeder suchte jeden. Man horchte und hörte herum, erfuhr von dem und jenen, dass Verwandte da und dort gesehen wurden. Suchlisten wurden herausgebracht, auch das Rote Kreuz sorgte, soweit es möglich war, für Verbindungen und Vermittlung. Viele Familien konnten zusammengeführt, etliche Schicksale aufgeklärt werden.

 

Aber auch kleine Lichtblicke gab es in jener schlechten Zeit. So wurden ab und zu gesellige Treffen der Vertriebenen organisiert, die wenigstens für ein paar Stunden den grauen Alltag und das schwere Los vergessen lassen sollten. Es wurden schöne Nachmittage oder Abende im „Sternsaal“ oder im Garten des „Hanauer Hof“ verbracht, wo Neubürger und Einheimische sich an einen Tisch setzten.

 

Nicht unerwähnt bleiben dürfen die zahlreichen Begegnungen auf der Liebfrauenheide, jenem kleinen Wallfahrtsort bei Klein-Krotzenburg, wo man sich mit anderen Vertriebenen oder auch Einheimischen der Umgebung traf, seine Probleme besprach und neuen Lebensmut holte. Die Liebfrauenheide war für die Tachauer auch deshalb ein beliebter Anziehungspunkt, weil dort der aus dem Kreis Tachau stammende Flüchtlingsseelsorger Dr. Karl Reiß predigte und den Landsleuten immer wieder Trost und Mut zusprach.

 

Dann kam die Währungsreform. Sie machte so manchen wieder zum Bettler. Doch gingen geregelte Zeiten los.

 

Die Vertriebenen organisierten ihre ersten größeren und überregionalen Treffen, die ersten Heimatblätter erschienen.

 

Bereits 1949 schuf der verdiente Flüchtlingsvertrauensmann und spätere Flüchtlingsobmann von Hanau, Herr Wilhelm Jäger senior, die „Interessengemeinschaft der Heimatvertriebenen Großauheim“, die seit dem 1. Juli 1950 durch Eingliederung in den Zentralverband vertriebener Deutscher die Bezeichnung „Ortsverband der Heimatvertriebenen“ führt.

Mittels einer eigenen Betreuungsstelle war es nun möglich, den vielseitigen sozialen Kampf für die anderen Schicksalsgenossen erfolgreicher zu führen und die kulturelle Wesensart der einzelnen Landsmannschaften sowie die Kulturgemeinschaft zwischen Vertriebenen und der alteingesessenen Bevölkerung besser zu pflegen.

 

An dieser Stelle sollte nicht unerwähnt bleiben, dass dem Verband u.a. zwei Tachauer bevorstanden: Josef Kreuzer und Franz Dobner.

 

Zu Ostern 1951 veranstaltete in der heutigen August-Gaul-Schule (früher Turmschule) der Ortsverband der Heimatvertriebenen eine sehenswerte Ausstellung „Die alte und die neue Heimat“. Die Ausstellung, in der auch den Tachauern eine Abteilung gewidmet war, kam bei Alt- und Neubürgern sehr gut an. Aus den Aufsätzen der heimatvertriebenen Jugend war damals schon zu ersehen, dass die Integration der jüngeren Generation schon weit fortgeschritten war.

In einer Feierstunde betonte damals Bürgermeister Weber, dass nicht nur aufseiten der Verwaltung, der freien Wohlfahrtsorganisationen und der einheimischen Bevölkerung die Initiative lag, um die Eingliederung so rasch und reibungslos wie nur möglich nachvollziehen zu können, sondern auch anerkanntermaßen bei den Vertriebenen selbst.

Im März 1951 gab es in Großauheim 1.262 Flüchtlinge bzw. Vertriebene, darunter 527 aus der Tschechoslowakei. Am deutlichsten zeichnete sich damals die Eingliederung in der Statistik der Eheschließungen ab: so hatten bis dahin 154 Eheschließungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen stattgefunden, aus denen schon 96 Kinder hervorgegangen waren.

Es darf keinesfalls verschwiegen werden, dass durch die großzügige Unterstützung der Vertriebenen und Flüchtlinge durch die Gemeinde Großauheim die Integration schnell fortschritt. Durch die Gewährung von Darlehen und Stundung des Grundstückskaufpreises, durch steuerliche Erleichterungen usw. war es vielen Vertriebenen möglich, Eigentum zu erwerben, zu bauen und sich eine Existenz zu schaffen.

 

Auch im gesellschaftlichen und öffentlichen Leben haben sich die Tachauer schnell eingelebt. Tachauer sind in zahlreichen Großauheimer und Hanauer Vereinen, hatten öffentliche Ehrenämter inne und wurden mit dem Ehrenbrief des Landes Hessen und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

 

Aus Anlass des 25. Jahrestages der Ankunft der Tachauer in Großauheim lud 1971 Bürgermeister Kämmerer eine Delegation in das Rathaus ein. Hier stellte er fest, dass die Tachauer fast ausnahmslos voll in die Bürgerschaft integriert seien und an der Entwicklung der Stadt ebenso mitarbeiteten, wie sie im gesellschaftlichen Leben und in den Vereinen wichtige Positionen einnehmen. Dies bestätigte nach der Eingemeindung nach Hanau auch Oberbürgermeister Martin, der 1976 zum 30. Jahrestag eine Delegation Tachauer empfing.

 

An diesen Gedenktagen wurden durch Kranzniederlegung am Ehrenmal am Waldfriedhof der Toten der alten und neuen Heimat gedacht.

 

Eine ganz besondere Beziehung haben die Tachauer zur Stadt Weiden in der Oberpfalz, denn sie ist ihre Patenstadt. Weiden ist der geistige Mittelpunkt des Tachauer Kulturlebens. Dort befindet sich das Heimatarchiv und die Heimatstube mit zahlreichen herübergeretteten Gegenständen von heimatkundlichem Interesse.

 

Aber auch der Stadt Bärnau, die unmittelbar an der tschechischen Grenze liegt, zollen die Tachauer ihre Aufmerksamkeit. Dort steht nämlich der Grenzlandturm, von dem man einen wunderbaren Blick in die alte Heimat hat. Der Turm und das darum liegende Gelände wurde von der Stadt Weiden nach der Patenschaftsübernahme erworben und dem „Verein zur Erhaltung des Kulturgutes des Tachauer Gebietes e.V.“ in Obhut übergeben. Durch zahlreiche Spenden von Tachauern aus dem In- und Ausland sowie durch Einheimische wurde der Turm ausgebaut und ist heute ein vielbesuchtes Ausflugsziel.

 

Der eine oder andere Tachauer hat in den letzten Jahren seine alte Heimat aufgesucht und kehrte enttäuscht zurück. Viele Dörfer des Tachauer Landes sind eingeebnet und die noch bestehenden boten bis zum Zerfall des Ostblocks ein mehr oder weniger trostloses, ungepflegtes Bild des Verfalls. Das Städtchen Tachau ist nicht mehr zu erkennen. Durch den Abbau von Uranpechblende in der Umgebung wurden zahlreiche Arbeitskräfte angesiedelt, ganz neue Stadtviertel entstanden und die Einwohnerzahl ist auf etwa 13.000 angestiegen. Es gibt nur noch ganz wenig deutschsprechende Menschen dort.

 

Es wäre schön gewesen, wenn der Antrag an den Magistrat der Stadt Hanau, in Großauheim eine Straße oder einen Weg nach der Stadt Tachau zu benennen, erfüllt worden wäre. Um die Jahrtausendwende wurde zwar in der Stadtverordnetenversammlung der Beschluss gefasst, jedoch wegen zu diesem Zeitpunkt fehlender Baugebiete aufgeschoben.

 

Es gibt viele, die meinen, leugnen zu müssen, dass sie Vertriebene sind – und könnten doch stolz sein, weil sie durch eigene Kraft aus der Kluft des Elends emporstiegen, und weil sie ein Schicksal bezwangen, das andere nicht einmal verstehen.“ (Zitat von Erich Hans)