Zeittafel zur Vereinshistorie des Heimat- und Geschichtsvereins Großauheim
Als der Heimatverein 1929 gegründet wurde, war Großauheim kein Stadtteil von Hanau. Es war eine selbstständige Gemeinde und vor allem: es war ein Industriedorf. Dieser Begriff bezeichnet sowohl das Wesen des damaligen Ortes als auch den Anlass zur Gründung des Heimatvereins.
Das Dorf hatte 7.500 Einwohner und damit doppelt so viele wie noch im Jahr 1900. Das heißt, dass mindestens ein Drittel aller Auheimer nicht aus Großauheim stammte oder gerade erst zugezogene Eltern hatte. Diese vielen Menschen wohnten natürlich nicht mehr alle im Dorfkern am Main oder in seinen ersten Erweiterungen flussauf- und abwärts und leicht in das Hinterland hinein. Vielmehr standen ihre Häuser seit etwa 1900 auch jenseits der Eisenbahnlinie an Auwanneweg, Spessart- und Taunusstraße. Dann war aber Schluss, noch weiter draußen lag isoliert einzig und allein die Lindenausiedlung. Ansonsten bestand das engere Umland aus Gärten, Feldern und Wiesen, die noch landwirtschaftlich genutzt wurden - und hauptsächlich aus Wald.
Arbeit hatten die Menschen unter anderem bei den Firmen Adt, BBC, der Eisengießerei Marienhütte und den Rütgerswerken. Dazu kamen Diamantschleifereien, Silberwarenfabriken, ein Sägewerk und die vielen kleinen Betriebe innerhalb Großauheims und im nahegelegenen Hanau.
Der enorme Wandel, den die Industrialisierung in Wirtschaft, Einwohnerzahl und -zusammensetzung, Konfessionsstruktur, Schulbildung, im gesamten Ortsbild und Alltag bewirkt hatte und immer noch bewirkte, mussten die Großauheimer erst verkraften. Der Umbruch von der früher vorherrschenden Landwirtschaft zur Industrie wurde zwar von vielen bejaht, denn es war wichtig Arbeit und komfortabel elektrisches Licht und Wasser aus der Leitung zu haben. Aber manche sahen auch, was dabei in Vergessenheit zu geraten drohte: die Erinnerung an die heimatliche Vergangenheit, aus der sich das Neue entwickelt hatte. Diese Vergangenheit sollte erforscht, festgehalten, dargestellt und in ihren Zeugnissen bewahrt werden. Und das nicht zur Verklärung der "guten alten Zeit", sondern, wie das Gründungsprotokoll des Heimatvereins betont, gekoppelt mit ausgesprochener Offenheit gegenüber den Belangen der Gegenwart. "Als Folge hieraus ergibt sich", so das Protokoll, "die Notwendigkeit der praktischen Mitarbeit in unserem Gemeinwesen. Der echte Heimatfreund soll sich Sorge um den Aufbau und das Wohl und Wehe der Gemeinde, des Staates widmen." Ebenso gehe es nicht allein darum, die natürlichen Gegebenheiten der Heimat, ihre geologische Substanz, die Tier- und Pflanzenwelt kennenzulernen, sondern sich auch für ihren Schutz einzusetzen.
Mit diesem Projekt vor Augen trafen sich am Abend des 19. September 1929, einem Freitag, elf Männer (Frauen machten noch nicht mit) in der Schäfergassen-Gastwirtschaft und gründeten den Heimatverein. Das Protokoll schließt mit folgender Szene: "Unsere erste Zusammenkunft trug insofern ein eigentümliches, aber anheimelndes Gepräge, als wir einen großen Teil des Abends im Scheine einer ehrwürdigen Petroleumlampe verbringen mussten, da das elektrische Licht wegen eines heftigen Gewitters ausgeschaltet war. Der Gründungsakt selbst, der durch Abstimmung erfolgte, war begleitet von Blitzen und Donnerschlägen und alle Anwesenden glaubten hierin ein günstiges Zeichen für das Blühen, Wachsen und Gedeihen unserer jungen Vereinigung erblicken zu müssen."
Für die ersten 10 Jahre bewahrheitete sich dieser Glaube. Ein Mitgliederstamm bildete sich, in dem Handwerker, Kaufleute und öffentliche Bedienstete vertreten waren, aber fast kein Arbeiter und kein Landwirt. In Zusammenarbeit mit der Gemeinde wurden im Wald Naturschutzflächen ausgewiesen. Archivalien der Gemeinde, der Pfarrei und in Staatsarchiven wurden ausgewertet, historische und naturkundliche Vorträge gehalten und Ausflüge unternommen. Es wurden Aufsätze in der Zeitung und in einem ab 1937 erscheinenden Mitteilungsblatt veröffentlicht. Ein besonderer Erfolg des Vereins war das Heimatmuseum, das man im September 1933 in der Haggassenschule, dem heutigen Stadtteilladen, eröffnete. Hier ließen sich vielerlei Objekte aus Natur und Geschichte zeigen, die der Verein fleißig gesammelt hatte. Als die Gemeindeverwaltung 1934 in die Haggassenschule umzog, wechselte das Museum schräg gegenüber in das Alte Rathaus.
Der Zweite Weltkrieg unterbrach jedoch die positive Entwicklung. 1942 musste das Heimatmuseum weichen, weil Flaksoldaten die Räume brauchten. Bei Kriegsende gingen Objekte verloren und danach betätigte sich auch der Verein als solcher zunächst nicht mehr.
Offiziell aufgelöst wurde er jedoch nie, und seine Ziele verfolgte eine Arbeitsgruppe weiter, die aus den Brüdern Heinrich und Karl Kurzschenkel und Alois Wilhelm Funk bestand. Sie forschten - umgeben vom Desinteresse der Wirtschaftswunderzeit - unverdrossen weiter, veröffentlichten in Zeitschriften und gaben dem 1150jährigen Ortsjubiläum 1956 mit einem geschichtlichen Heimatbuch das erforderliche Fundament. Herausgeberin dieses Buchs war die Volkskundeprofessorin Mathilde Hain, die aus Großauheim stammte und selbst dem Heimatverein angehörte. 1968 richtete die Arbeitsgruppe wenigstens ein Schaumagazin mit den erhaltenen Stücken der heimatkundlichen Sammlung im Alten Rathaus ein. Es war an Tagen der offenen Tür der Öffentlichkeit zugänglich und die junge Stadt dachte an ein richtiges Museum - zumal sie im Jahr 1968 ebenfalls eine Sammlung mit Werken des großauheimer Tierbildhauers August Gaul schuf.
Das Museumsvorhaben zog bald einige Bürger an, die mit früheren Vereinsmitgliedern in Kontakt traten und sie unterstützen wollten. Als das Projekt auf städtischer Seite nicht voran kam und ab 1972 der Taubengassenschule, die als Museumsgebäude vorgesehen war, der Abriss drohte, um dort ein neues Rathaus und Parkplätze zu schaffen, war dies die Initialzündung. Jene Gruppe, die sich inzwischen gefunden hatte, belebte den Verein im Jahre 1976 neu. Eine entscheidende Rolle spielte nun also, ganz anders als 1929, die Denkmalpflege.
Obgleich Großauheim 1974 im Zuge der hessischen Gebietsreform seine kommunale Selbständigkeit verlor und nur noch als Hanauer Stadtteil weiterexistierte, gab man die Pläne für ein eigenes Museum nicht auf. Im Jahr 1983 war es dann endlich soweit und das städtische Museum Großauheim eröffente im ehemaligen Elektrizitätswerk. Dort verfügt der Verein seither im Dachgeschoss über Räumlichkeiten, die u.a. als Vereinsarchiv genutzt werden.
So viel über die Historie des Vereins bis in die 80er Jahre. Seit damals ist der Verein ununterbrochen aktiv in Großauheim, es werden Fahrten veranstaltet, Führungen, Ausstellungen und Ausflüge durchgeführt. Allein während des 1200jährigen Jubiläums im Jahr 2006 wurden 12 solche Angebote vorgelegt, die gut angenommen wurden. Weiterhin bringt der Verein in unterschiedlichen Abständen Veröffentlichungen heraus, darunter im Jahr 1981 und 1986 einen historischen Bildband, 2006 ein Großauheimer Tagebuch aus dem 2. Weltkrieg und 2008 einen Ortsführer. Er beteiligte sich am Hanauer Friedhofsbuch und konnte im vergangenen Jahr, gemeinsam mit der Stadt Hanau, sehr erfolgreich das Buch "Gänseflitsch und Kroachekneppscher" von Berthold Herbert herausbringen. Bis auf wenige Restexemplare (Auflage von 1000 Stück) ist dieses bereits ausverkauft. Dass unter den Medien des Vereins auch neue Medien sind, versteht sich. So wurde der Großauheimer Heimatfilm von 1956 auf DVD vervielfältigt und dass Sie sich hier auf dieser Homepage über den Verein informieren, beweist, wie modern er ist. Darüber hinaus ist der Verein in der jüngeren Vergangenheit verstärkt bei den Großauheimer Veranstaltungen wie dem Mainuferfest und den großen Märkten (Irminratsmarkt, Rochusmarkt und Weihnachtsmarkt) vertreten und präsentiert sich und seine Arbeit in Form von Plakaten, Literaturverkäufen, Führungen, Ralleys und Mundartquizzes.
Eine herausgehobene Rolle in der Geschichtsvermittlung spielt noch immer das städtische Museum Großauheim. Mit seiner Leitidee, den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft von der bäuerlichen zur industriellen Kultur zu veranschaulichen, erleichtert das Verständnis sowohl der örtlichen großauheimer als auch der überörtlichen, allgemeinen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Gegenwärtig befindet sich das Museum in Umbau und Neugestaltung, es wird moderner werden und die Großauheimer Künstler August Gaul und August Peukert noch besser berücksichtigen, vor allem aber die seit langem dringend benötigte Fläche für Wechselausstellungen besitzen. Der Verein hat für diese Neukonzeption einiges an Material aus seinen Beständen beigesteuert und freut sich, in Zunkunft auch wieder Ausstellungen zu besonderen Großauheim-Themen bieten zu können.
Während der Verein am Museum weiterhin mitwirkt, hat er sich von den Gemeindearchivalien getrennt. Er hatte sie in der NS-Zeit vor der Vernichtung gerettet und dann über Jahrzehnte hinweg als wichtige historische Quellen aufbewahrt. Vor einigen Jahren hat er sie dem Hanauer Stadtarchiv übergeben, wo nach der kommunalreform auch die sonstigen Großauheimer Altakten aufbewahrt und erschlossen werden. Alles das steht nun als das heimische Gedächtnis den Forschern, auch den Amateuren, zur Verfügung.
Nicht losgesagt hat sich der Verein von seinem Einsatz für die Denkmalpflege. Er wird getragen von der Erfahrung, dass mehr als nur Vorträge und Bücher das tägliche Leben inmitten der von den Vorfahren hinterlassenen und geprägten Umgebung eine Vorstellung von der Geschichte vermittelt. Deshalb setzt sich der Verein immer wieder für Kulturerzeugnisse ein, besonders für die, um die sich sonst niemand so recht kümmert. Es seien nur die Grabsteine auf dem Alten Firedhof genannt oder die Bildstöcke, von denen der Verein unter dem Beifall der Öffentlichkeit mehrere in den letzten Jahren renovierte und wieder aufstellte, zuletzt mit Hilfe vieler Spender das Kreuz am Hergersweg im Juni 2009.
Das alles tat und tut der Verein im Einklang mit seinen Mitgliedern, deren Zahl im Laufe der letzten 80 Jahre natürlich schwankte, inzwischen aber die Hundert deutlich überschritten hat. Und genau dieser Anstieg der Mitgliederzahl ist ein Beweis dafür, dass geschichtsbewusst nicht gleich altmodisch oder gar verstaubt und diese Chronik noch längst nicht abgeschlossen ist, sondern der Verein auch in Zukunft weiter aktiv sein wird.
Kerstin Giesel, im März 2010